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Klimaforscher Ben Marzeion schaut direkt in die Kamera
Blog | März 2020

Interview mit Klimaforscher Ben Marzeion - Teil 1

Wir haben die Technologien, um das Problem der Erderwärmung zu lösen aber der Wille fehlt noch - Teil 1

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sonnen GmbH
Content Team

Ben Marzeion ist Klimaforscher an der Uni Bremen und arbeitet außerdem für den Weltklimarat IPCC. Seit März ist er Teil der sonnenCommunity und versorgt sein Haus mit selbst erzeugter, sauberer Energie. Wir sprachen mit ihm über den aktuellen Stand der Klimaforschung, welche Möglichkeiten jeder selbst hat, wo die Grenzen des Einzelnen sind und wie sich die Erderwärmung begrenzen lässt.

Herr Marzeion, wir hatten im letzten Sommer ja historische Temperaturrekorde und der Winter hat quasi nicht stattgefunden. Man hat ein bisschen das Gefühl, der Klimawandel nimmt Fahrt auf. Deckt sich das mit den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen?

Ja, es ist sicher so, dass der Klimawandel immer spürbarer wird, auch ohne dass man dazu auf die Messinstrumente schauen muss. Er nimmt schon deshalb weiter Fahrt auf, weil die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre weiter steigt. Gleichzeitig muss man aber auch sagen: Auch wenn solche Jahre wie 2018 oder 2019 in Erinnerung bleiben, sind es Einzelereignisse die immer recht schwierig dem Klimawandel zuzuordnen sind. Was man sagen kann: Die Wahrscheinlichkeit für solche Sommer steigt, es ist aber auch nicht so, dass es völlig ausgeschlossen wäre, dass solche Sommer auch ohne Klimawandel aufgetreten wären.
 

Deckt sich die aktuelle Entwicklung bei der Erwärmung mit den Daten, die vorhergesagt wurden? Oder verläuft sie schneller oder sogar langsamer?

Im Prinzip deckt sich das ziemlich gut mit den Vorhersagen. Die entsprechenden Rechenmodelle gibt es ja bereits mindestens seit Anfang der 90iger Jahre. Da haben wir also schon 30 Jahre Erfahrung und können sehen, wie die Vorhersagen damals für heute waren. Und da kann man feststellen, dass das schon ziemlich gut passt. Die Erwärmung von rund 0,5 Grad in den letzten 30 Jahre sind eine Bestätigung dafür gewesen, was die Wissenschaft schon vor 30 Jahren berechnet hat.
 

Mittlerweile wissen wir ja auch, dass es Kipp-Punkte im Klimasystem gibt, bei denen Prozesse ausgelöst werden, die nicht mehr umkehrbar sind.

Bei den Kipp-Punkten ist es zum Teil nicht so ganz klar, wie weit wir schon dran sind. Also ist der Prozess schon ausgelöst oder wie viel Erwärmung können wir uns noch „leisten“, ohne ihn auszulösen? Dazu gehört zum Beispiel die Stabilität des antarktischen Eisschildes, da könnten wir Prozesse starten, die wir über viele Jahrtausende nicht umkehren können und die dann zu einem ganz starken Ansteigen des Meeresspiegels führen. Das betrifft aber auch Ökosysteme wie den Regenwald im Amazonas, der kippen könnte, wo es dann statt des Waldes eine Savanne geben könnte. Bei den meisten dieser Beispiele ist es unklar, wo genau die Grenze liegt.
 

Ihr Fachgebiet sind ja Gletscher. Was sind denn die Schlüsselerkenntnisse aus Ihrer eigenen Arbeit, die Sie ziehen können? Jeder kennt ja die Vorher-Nachher-Bilder der schmelzenden Alpengletscher.

Genau, diese Bilder kennt ja mittlerweile jeder aber was daran ein bisschen überraschend ist: Bis vor so ca. 5 Jahren hat zwar jeder diese Bilder genutzt um den Klimawandel zu illustrieren, es war aber gar nicht explizit nachgewiesen, dass die Gletscher tatsächlich durch den menschgemachten Klimawandel abschmelzen. Das ist auch nicht einfach, weil die Gletscher sehr träge auf den Klimawandel reagieren. Wenn wir jetzt eine Klimaveränderung haben, reagieren die Gletscher auch in 150 Jahren noch drauf. 2014 haben wir dann eindeutig nachgewiesen, dass ein Großteil der Gletscherschmelze tatsächlich auf den menschgemachten Treibhausgasausstoß zurückzuführen ist. Es war also eine Bestätigung dessen, was die meisten Menschen ohnehin schon gedacht hatten. Das ist sehr wichtig für die Legitimität unserer Aussagen.

Und obwohl die Gletscher in den Gebirgen sehr klein im Vergleich zu den Eisschilden in Grönland oder der Antarktis sind, ist ihre Bedeutung für den Menschen kritisch. Das Schmelzwasser geht erstmal in Flüsse, die von den Menschen genutzt werden. Da hängt zum Teil die Landwirtschaft dran oder der Wasserverbrauch in den Haushalten, sie sind also auch für die Versorgung relevant.
 

Es gibt ja immer wieder Behauptungen, dass es Erwärmungen ja schon immer gegeben hat und daher alles nicht so schlimm ist…

Natürlich ist es schon immer wärmer oder kälter gewesen. Es hat Eiszeiten und Warmzeiten gegeben. Der grundsätzliche Unterschied zu dem was heute passiert, ist zum einen die Geschwindigkeit, also wie schnell sich das Klimasystem verändert. Das hat es in der Größenordnung mindestens in den letzten 800.000 Jahren nicht gegeben und da stellt sich die Frage, wie die Ökosysteme damit zurechtkommen.

Der zweite Unterschied ist, dass die Menschheit bei früheren Klimaschwankungen nicht so abhängig von einem stabilen Klimasystem war. Wir siedeln heute dicht an den Küsten, unsere Technologien sind empfindlich bei Extremerscheinungen, wir leben also in einer Umgebung, die Stabilität braucht.

Und genau diese schnelle Veränderung ist das Problem. Man kann gar nicht sagen, es gibt eine optimale Temperatur, mit der wir leben können, sondern das Optimale ist eine gewisse Stabilität des Klimas. Und die verlieren wir gerade ganz rapide.
 

Was würde es denn bedeuten, wenn die Ökosystem die Geschwindigkeit des Klimawandels nicht mitmachen?

Ich bin da kein Spezialist aber ich würde sagen: In vielen Bereichen weiß man es schlicht nicht genau. Im Ozean ist zum Beispiel nicht nur die Temperaturänderung ein Problem, sondern auch die Versauerung, also die Veränderung des ph-Wertes durch das CO2. Es gibt sehr viele Organismen die Kalkschalen aufbauen, nicht nur Muscheln sondern auch ein Großteil des Planktons. Wenn der Ozean zu sauer wird, können diese Organsimen dort nicht mehr leben und die sind nun mal in vielen Teilen der Meere die Grundlage der Nahrungskette. Die Frage ist dann: Was wird dann passieren? Das wissen wir heute noch nicht aber eines ist sicher: Es wird ganz grundlegende Veränderungen geben.

Wenn es an Land wärmer wird, können hier auch andere Pflanzen wachsen als bisher aber auch hier kann man nicht sagen, welche Pflanzen zum Beispiel in der Landwirtschaft genutzt werden können. Auch hier ist das Hauptproblem wieder die Stabilität: Also wir wissen, dass es eine Änderung geben wird, wir wissen aber nicht genau, was wir erwarten können und können uns folglich auch nicht genau darauf einrichten.
 

Finden Sie, dass beim Klimawandel zu viel Hysterie erzeugt wird?

Man muss den Menschen in aller Klarheit sagen, was auf sie zukommt. Das ist die Aufgabe von uns Wissenschaftlern. Ich finde den Vorwurf der Hysterie nicht gerechtfertigt, wenn wir sagen was passieren wird, wenn wir unser Energiesystem nicht umstellen. Wer sich den IPCC-Bericht durchliest wird sehen, dass es keine Schwarzmalerei ist, wenn davor gewarnt wird, dass es wirklich sehr ungemütlich auf der Erde wird und dass es große Probleme gibt, wenn wir uns nicht grundlegende Gedanken machen. Da finde ich den Vorwurf der Hysterie völlig falsch.
 

Wie können wir in der Öffentlichkeit mit dem Thema umgehen?

Zum einen sehe ich es eher mit Besorgnis, dass in der Öffentlichkeit der Fokus sehr darauf gelegt wird, das Problem irgendwie mit Verzicht zu lösen. Es ist natürlich richtig auf Flugreisen zu verzichten, die nicht nötig sind. Und dass man seinen Fleischkonsum überdenkt. Aber das wird alles nicht reichen, um das Problem der Erderwärmung zu lösen.

Hier muss man auch die Möglichkeiten berücksichtigen, die den Menschen in verschiedenen Teilen der Welt zur Verfügung stehen: Uns in Deutschland oder im globalen Norden geht es sehr gut und wir können tatsächlich mit Verzicht einiges an Treibhausgasausstoß verhindern. Es gibt aber sehr viel mehr Menschen auf der Welt, die überhaupt nicht die Möglichkeit haben, auf irgendwas zu verzichten.
 

Wenn es über den Verzicht nicht geht, wie dann?

Ich bin davon überzeugt, dass man dieses Problem global nur über Technologie lösen kann. Und dass wir auch in der Lage sind, das zu machen. Der Preis den wir dafür zahlen, das Klimaproblem zu lösen ist nicht der Verzicht auf Flugreisen oder dass wir weniger Fleisch essen. Sondern der Preis dafür ist, dass wir Windkraftwerke akzeptieren, dass wir Stromtrassen akzeptieren und dass wir auch bereit sind mehr dafür zu bezahlen, damit das Ganze auch eine Eigendynamik entwickeln kann. Je mehr in diese Richtung investiert wird, umso stärker kann es dann auch in andere Teile der Welt exportiert werden. Das muss letztlich auch wirtschaftlich funktionieren. Man kann vom Großteil der Weltbevölkerung nicht erwarten, dass sie tatsächlich auf irgendwas verzichten, so wie wir das in Europa machen können.  

Im 2. Teil des Interviews erklärt uns Ben Marzeion, welche Maßnahmen entscheidend sind, um das Problem des Klimawandels zu lösen und was er für den Klimaschutz tut und jeder Einzelne tun kann. 

Hinweis: Der Interview-Partner hat keinerlei Vergütung oder Vorteile von sonnen erhalten. Die hier dargestellten Ansichten sind nicht notwendigerweise die der sonnen GmbH.